Ober-Ohmen – Eine alte Siedlung im oberen Ohmtal
-Auszug aus der Festschrift zum 50 jährigen Bestehen der FFW Ober-Ohmen 1983-
Ober-Ohmen ist der Struktur nach ein Vogelsbergdorf wie viele andere seiner Art und zählt um die 800 Einwohner. Nach 1946 stieg seine Einwohnerzahl durch die Aufnahme der Heimatvertriebenen einmal kurze Zeit auf über 1.000 Seelen, um dann im Laufe der Jahre durch wirtschaftliche bedingte Abwanderungen vieler Heimatvertriebener wieder bis auf die heutige Einwohnerzahl abzusinken. Die heutige Einwohnerzahl liegt aber noch über der vor 50 Jahren und länger. Um 1900 lag sie zwischen 600 und 700 und ganz früher noch darunter.
Das Dorf blickt auf eine nachweisbar tausendjährige Geschichte zurück, wie aus alten Chroniken ersichtlich. Laut ihnen wird das Dorf schon vor dem Jahre 1.000 n. Chr. Als Siedlung erwähnt und dürfte somit heute bereits für eine Jahrtausendfeier „reif“ sein. Es wird sogar vielfach die Ansicht vertreten, dass die Gründung der Siedlung Ober-Ohmen bis in die Keltenzeit zurückreicht. Auch der Name des kleinen Bergwaldes am Westende des Dorfes, der „Kirchberg“, resultiert alten Überlieferungen zufolge aus einer Zeit, über die leider keine urkundlichen Unterlagen vorhanden sind. Nach mündlicher Überlieferung sollen dereinst zwei Siedlungen bestanden haben; eine da, wo heute das Dorf Ober-Ohmen am Lauf der Ohm steht, und eine jenseits des kleinen Bergwaldes am leicht abfallenden Hang zum „Scharnholzbach“ hin. Um beiden Siedlungen gerecht zu werden, stimmten beim vorgesehenen Bau einer Kirche die Bewohner der Südsiedlung dafür, die Kirche zwischen beiden Siedlungen auf den Gipfel des Kirchbergs zu errichten, während die Bewohner der Nordsiedlung die Kirche im Tal bei sich errichtet haben wollten. In den dunklen Nächten soll das bereits beschaffende Baumaterial mehrmals den Platz vom Tal zum Berg und wieder zurück gewechselt haben. Die Talsiedler blieben schließlich Sieger in diesem Ringen. Der kleine Bergwald aber erhielt seinen heutigen Namen „Kirchberg“.
Wenn man sich mit der Geschichte des Dorfer Ober-Ohmen beschäftigt, so schält sich dabei eine enge Verbindung mit der Familiengeschichte des Freiherrn Riedesel zu Eisenach heraus. An einer Stelle dieser Familienchronik wird das „Gericht“ Ober-Ohmen als besonders wertvolles Stück des Gesamtbesitzes bezeichnet. Zu dem Gericht Ober-Ohmen gehörten außer Ober-Ohmen noch die umliegenden Orte Ruppertenrod, Groß-Eichen, Klein-Eichen, Unter-Seibertenrod und Zeilbach sowie die Mühlen Nieder-Wettsaasen und Wadenhausen, wie aus der Niederschrift eines Huldigungsaktes vom 27. Juli 1582 auf dem Kirchhof zu Ober-Ohmen hervorgeht. Vorbesitzer des Gerichtes Ober-ohmen war Wilhelm Weise von Fauerbach. Ein erster Teilerwerb durch die Riedesel erfolgte im Jahre 1426. Schon 1450 wurde die Familie Riedesel Alleinherr des Gerichts Ober-Ohmen.
Der heutige Dorfname ist die letzte Form der vielen Abarten, nach denen das Dorf einst benannt wurde. Unter dem Namen „Amen“ tritt Ober-Ohmen erstmalig urkundlich in Erscheinung. Dann reihen sich verschiedene Doppelnamen, wie z.B. „Abern-Amen“, „Obirn-Omen“, „Ubbirn-Oemen“, „Owirn-Oemen“, bis auf den heutigen Namen „Ober-Ohmen“ an.
Bis dahin erfolge die Verwaltung des hiesigen Besitzes anfangs durch sogenannte Amtmänner und später 1949 durch die hier stationierten Forstbeamten, während die Hauptverwaltung ihren Sitz in Lauterbach hatte, was für die Forstverwaltung auch heut noch der Fall ist. Nach dem 1. Weltkrieg wurde ein Großteil des Riedeselschen Besitzes an landwirtschaftlicher Nutzfläche über die Nassauische Siedlungsgesellschaft an Landbewerber in Erbpacht gegeben und in den ersten Jahren des 2. Weltkrieges erstmalig von einem Familienmitglied der Freiherrn Riedesel bewirtschaftet und als Wohnsitz ausersehen. Verschiedentlich findet man heute das Wappen der Riedesel, einen Eselskopf mit Distelblatt im Maul, an Baulichkeiten im Weichbild des ehemaligen Forsthauses, die zum Riedeselschen Besitz gehörten. Das Wappen befindet sich auch über den Sandsteinportalen der 1792 erbauten Kirche im Relief angebracht, Erinnerungen an jene Zeit, wo die Riedesel das Patronat über die Kirche und eigene Gerichtsbarkeit ausübten.
Heute ist Ober-Ohmen zu einem recht modernen Dorf geworden, das schöne breite asphaltierte Ortsstraßen hat und sich zur Ohmstraße hin beträchtlich erweitert hat sowie über vielfältiges Handwerk und moderne Geschäfte verfügt. Dicht neben der Stätte, wo einstmals das Geschlecht Riedesel das Dorf regierte und verwaltete, steht das Rathaus, ein altes Bauwerk, das ebenfalls schon Hunderte von Jahren auf dem Buckel hat, wie seine typische Bauweise anschaulich illustriert.
Auf ein ebenfalls hohes Alter weist das nachweislich älteste Haus, das „Coallese Haus“ hin, über dessen Eingang das Baujahr 1515 in Basrelief in einen Eichenbalken eingelassen ist. Bei allen baulichen Veränderungen mit starken Attributen an die moderne Technik und Wirtschaft liegt auch weiterhin über Ohmen-Ohmen der Hauch einer heimatgeschichtlichen wechselvollen Vergangenheit.
Wie allenthalben in der Vogelsbergdörfern die Bewohner einen sogenannten „Spitznamen“ haben, so wurde auch die „Uhmeniemer“ (Ober-Ohmener) mit einem solchen bedacht, und zwar nannte man sie die „Koainbeul“ (Kohlenbeutel). Welche Bewandtnis es mit diesem Namen hat, sei wie folgt dargelegt, was urkundlich schon im 16. Jahrhundert erwähnt wird. In der Blütezeit des Messerschmiedehandwerkes wurde dieses fast in jedem zweiten Haus betrieben. Die Vorfahren vieler heutiger Landwirte, auf deren Höfe heute der Schlapper rattert, ernährten sich und ihre Familie schlecht und recht mit dem Schmieden von Messern und Gabeln, wobei meist sämtliche Familienmitglieder mit eingespannt waren; denn karg war der Verdienst. Ein Dutzend einfache Taschenmesser erbrachten beim Absatz an Händler sage und schreibe nur eine Einnahme von einer Mark in der Zeit nach dem Siebziger Krieg.
Der einfache Wohnraum war auch gleichzeitig Werkraum. Vor den Fenstern zur Straße hin war die Werkstatt angebracht, auf der gebohrt, gefeilt usw. wurde. Om Keller befand sich meist die kleine Schmiede-Esse und der Amboss, auf welchem der erhitzte Stahl formgerecht geschmiedet wurde. Das „Kling-Kling“ der Hammerschläge auf den Ambossen war in allen Dorfstraßen zu hören. Der Rohstahl musste von einschlägigen Firmen gekauft werden, doch wurde auch jedes andere irgendwie verwertbare Stück Altmetall, wie alte Feilen, Sägeblätter usw., zu Messerklingen umgeschmiedet, wodurch sich der karge Verdienst etwas erhöhte. Als Backenbelag für Messer und Gabeln einfacher Art dienten Zwetschenholz, etwas bessere Qualität erhielten Horn oder Bein, die beim Hausschlachten anfielen und von Bauernkindern an die Messerschmiede für einige Pfennige verkauft wurden. Für ein paar Pfennige drehten Kinder einen ganzen Tag das Schleifrad eines Messerschmiedes, wenn dieser seinen Schleiftag hatte, an dem die rohen Messerklingen ihren „letzten Schliff“ erhielten.
Zum Schmieden der Klingen wurde ausschließlich Holzkohle verwandt, die in den Dorfbackhäusern anfielen. Diese Kohlen wurden vorher gesiebt, um die noch anhaftende Asche und andere Beimengungen auszuscheiden. Der Anfall von diesen sogenannten „Backkohlen“ reichte aber für viele Messerschmiede im Dorf nicht aus. Und so nahmen von Zeit zu Zeit die Messerschmiede einen Sack und gingen auf die Nachbardörfer zum Kohlenkauf, wo die Bauern die Backkohlen für die bekannten „Einkäufer“ reservierten.
Diese Kohlenkäufer mit ihrem Sack über der Schulter waren sehr bald im ganzen Vogelsberg eine bekannte Erscheinung, und bald hatte der Volksmund diesen Leuten den Spitznamen „Koainbeul“ beigelegt. Und dieser Name übertrug sich automatisch mit der Zeit auf alle Einwohner des Dorfes. Man sagte niemals, der oder jener Mann ist ein Ober-Ohmener, sondern, das ist ein Koainbeul. Heute ist das Messerschmiedehandwerk ausgestorben, in alten Bauernhäusern findet man aber immer noch hin und wieder alte Messer, auf deren Klingen die eingeschlagenen Namen, wie Schmidt, Kratz, Horst, Keil usw. auf die einstigen Hersteller hinweisen.
Neben dem Messerschmiedehandwerk wurde in einigen Häusern die Gelbgießerei betrieben. Erzeugnisse waren Öllampen, Kuhglocken usw. sowie die unter dem Namen „Rinker“ hergestellten Schnallen für Trachtenschuhe, wie man solche heute noch in der Schwalm findet. Auch dieses Handwerk erlag dem Zahn der Zeit.
Als einzige Erinnerung aber geblieben ist der Name „K o a i n b e u l“.